i2030-Reaktivierung der Stammstrecke der Heidekrautbahn – Arbeiten am Bahnhof Wilhelmsruh nehmen Fahrt auf
27. Mai 2025, Autor: Thomas Fülling







Neuer Regionalbahnsteig für die Niederbarnimer Eisenbahn soll bis Herbst fertiggestellt sein
Berlin. Ende April war es vorbei mit der Ruhe am Bahnhof Berlin-Wilhelmsruh. Schwere Baugeräte rollten an. Mit dabei ein sogenannter Mäkler-geführter Rammbagger. Dessen Aufgabe: Mit hoher Präzision direkt neben der S-Bahn-Strecke insgesamt 96 Spundwände bis zu drei Meter tief in Erde zu rütteln. Immer wieder schaute dabei ein Arbeiter durch ein Messgerät, ob die jeweils 1,40 Meter breiten Stahlbohlen tatsächlich genau im Lot und in der richtigen Lage sind. „Wir arbeiten hier auf den Zentimeter genau“, sagte dazu Tim Kanellos. Der 32-jährige Ingenieur der Firma Echterhoff ist Oberbauleiter für das Vorhaben der Niederbarnimer Eisenbahn AG (NEB), neben dem S-Bahnhof Wilhelmsruh ihren einstigen Regionalbahnhof wieder aufzubauen.
Der Startschuss für dieses Projekt war bereits im November 2024 gefallen. Doch bevor schwere Technik anrücken konnte, sei noch eine Menge zu tun gewesen, erläuterte Detlef Bröcker, langjähriger NEB-Geschäftsführer. Nach seiner Pensionierung kümmert er sich nun als externer Berater der NEB um das ambitionierte Vorhaben. Für die Baufreiheit mussten Bäume und Sträucher gerodet sowie der Mauerradweg verlegt werden. Auch rechtliche Fragen waren noch zu klären. Nun aber haben die Arbeiten für den Wiederaufbau des Regionalbahnhofs Wilhelmsruh endlich Fahrt aufgenommen.
Den Bahnhof gibt es bereits seit mehr als 60 Jahren nicht mehr. Er stand den Grenzanlagen im Wege, die die DDR-Führung 1961 auf der Sektorengrenze zwischen den Bezirken Reinickendorf (West) und Pankow (Ost) errichten ließ. Während der S-Bahnhof stehen blieb, wurden die Anlagen der Regionalbahn stillgelegt. Die NEB musste den Bahnverkehr nach dem Mauerbau auf ihrer seit 1901 bestehenden Stammstrecke zwischen Wilhelmsruh und Schildow abrupt einstellen. Als beliebte Ausflugsroute der Großstädter ins Umland ist die Verbindung seit den 1920er-Jahren auch als „Heidekrautbahn“ bekannt. Die Reaktivierung der Heidekrautbahn ist eines der zentralen Vorhaben, die die Länder Berlin und Brandenburg in ihrem Infrastrukturprogramm i2030 zum Ausbau und zur Erweiterung der Schieneninfrastruktur in der Hauptstadtregion beschlossen haben.
Die Geschichte der „Heidekrautbahn“ ist in Wilhelmsruh heute nicht nur mit einer Gedenkstele vor dem S-Bahnhof präsent. So wurde der Postenweg der DDR-Grenzer nach der Wiedervereinigung zu einem beliebten Radweg. „Bei den Tiefbauarbeiten sind wir auch an mehreren Stellen auf Fundamente für die Grenzmauer gestoßen“, berichtete Ralf Mandelkow (59), Polier der Baufirma Bunte, die in einer Arbeitsgemeinschaft (Arge) mit der Firma Echterhoff am Wiederaufbau des Regionalbahnhofs arbeitet. Der Regionalbahnhof wird jedoch nicht in seiner ursprünglich ebenerdigen Lage errichtet. Vielmehr wird der für den S-Bahnverkehr bestehende Bahndamm in Wilhelmsruh um rund acht Meter verbreitert. Damit wird Platz geschaffen für ein neues Gleis, die Fahrgäste der Regionalbahn können an einem neuen, 145 Meter langen Seitenbahnsteig aussteigen. Dieser erhält auf der östlichen Seite des Bahndamms einen Treppenabgang. Eine lange Rampe hinab zur Kopenhagener Straße stellt die gesetzlich geforderte Barrierefreiheit der Station her. Dort ist auch der Übergang zur S-Bahn (Linien S1 und S85) und zu den Bussen der BVG geplant.
Mit den jetzt gesetzten Spundwänden sind die Voraussetzungen für weitere Arbeiten geschaffen. So werden diese durch 92 horizontal eingebaute Anker stabilisiert. Bis Ende Juni, so der Zeitplan der Baufirmen, soll der Spundwandkasten mit rund 40.000 Tonnen Erdreich aufgefüllt sein. Das wird für entsprechenden Lkw-Verkehr an der Baustelle sorgen. „Wir rechnen mit bis zu 1000 Tonnen Material am Tag“, sagte Bauleiter Kanellos. Das Besondere: Das Erdreich kommt von anderen Berliner Großbaustellen. Nach einer Aufbereitung kann es zu 90 Prozent wiederverwandt werden. „Das schont die Umwelt und verringert den Bauverkehr“, so Kanellos. Nach dem Aufschütten des Bahndamms erfolgt der Aufbau des neuen, 2,50 Meter breiten Bahnsteigs. Vorgesehen sind zudem eine Wandverkleidung aus Sichtbeton und Rasengrün an den Hängen. Letzte Pflasterarbeiten sind im Spätsommer geplant. NEB-Projektberater Bröcker geht davon aus, dass der Regionalbahnhof Wilhelmsruh bis zum Herbst fertiggestellt sein wird.
Bevor jedoch die Züge wieder ab Wilhelmsruh fahren können, muss die gesamte, rund 14 Kilometer lange Strecke bis Schönwalde erneuert werden. Dafür gibt es bislang noch kein Baurecht. Die nach einer ersten Auslegung überarbeiteten Pläne für den auf dem Gebiet des Landes Berlin gelegenen Abschnitt sollen laut Bröker bis Jahresende erarbeitet sein und Anfang 2026 veröffentlicht werden. Dann besteht für Anwohner und Träger öffentlicher Belange erneut die Möglichkeit zur Einsicht und Mitsprache. In der Vergangenheit hatte es vor allem natur- und lärmschutzrechtliche Bedenken gegeben. Im Verlauf des Jahres 2026 sollen dann auch die überarbeiteten Planfeststellungsunterlagen für den Bauabschnitt auf Brandenburger Gebiet vorliegen. Folgend bleiben die Einwendungen und das weitere Verfahren der Planfeststellungsprozesse in Berlin und Brandenburg abzuwarten.
Erst mit vorliegenden Baugenehmigungen kann die NEB die baulichen Anpassungen an der Trasse vornehmen und anschließend den Bahnbetrieb auf ihrer Stammstrecke wieder aufnehmen. Geplant sind in der ersten Betriebsstufe Fahrten im Stundentakt zwischen Berlin-Wilhelmsruh und Basdorf. Langfristig soll die Heidekrautbahn mit einem Halbstundentakt über die Nordbahn zum Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen durchgebunden werden. Die NEB wird auf der Verbindung umweltfreundliche Züge mit Wasserstoffantrieb einsetzen. Diese halten auf der Strecke an den Stationen PankowPark (neu), Berlin-Rosenthal, Berlin-Blankenfelde, Schildow, Schildow-Mönchmühle, Mühlenbeck sowie Schönwalde West. Nördlich von Schönwalde erfolgt der Anschluss an das bestehende NEB-Netz.
Ursprünglich wurde für die Reaktivierung der NEB-Stammstrecke mit Baukosten von ca. 46 Millionen Euro gerechnet. Aufgrund zusätzlich notwendiger Lärmschutzwände und steigender Baukosten ist mit höheren Investitionskosten zu rechnen. Wegen der großen verkehrlichen Bedeutung für die Region sind die Länder Berlin und Brandenburg für die Planung und das Land Berlin für die Baurealisierung des Bahnhofs Wilhelmruh zunächst in Vorleistung gegangen. Nach Vorliegen aller Baugenehmigungen wird im Rahmen eines Förderantrages über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz eine bis zu 90-prozentige Übernahme der Baukosten durch den Bund angestrebt.